Anatomie eines Falls | Kritik / Review (Oscars 2024)

Storyanriss:

Sandra (Sandra Hüller), Samuel (Swann Arlaud) und ihr elfjähriger sehbehinderter Sohn Daniel (Milo Machado Graner) leben seit einem Jahr weit weg von jeglicher Zivilisation in den Bergen. Eines Tages wird Samuel tot am Fuße ihres Hauses aufgefunden. Es wird eine Untersuchung wegen des verdächtigen Todes eingeleitet. Die Ermittler scheinen den Fall selbst zu einem schnellen Ende bringen zu wollen. Denn die Beweislast auf Sandra ist nicht gerade hoch, als die Staatsanwaltschaft Anklage gegen sie erhebt. Sandra selbst kämpft weiter mit dem Tod ihres Mannes: Hat er sich selbst umgebracht oder war es wirklich – wie von den Ermittlern vermutet – Mord? Es vergeht ein Jahr, bis die Verhandlung vor Gericht aufgenommen wird. Auch Daniel wird in den Zeugenstand gerufen. Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn wird daraufhin auf eine harte Probe gestellt – vor allem durch die Staatsanwaltschaft, die damit beginnt, mit ihren Fragen die beiden brutal zu durchleuchten.

Fazit:

In dem Film Anatomie eines Falls von Justine Triet wird die Geschichte eines Mordes vor Gericht verhandelt, doch anders als erwartet, steht nicht nur die Aufklärung des Verbrechens im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Themen von Wahrheit, Lügen und Selbsttäuschung sowie die Komplexität menschlicher Beziehungen. Trotz des gerichtlichen Rahmens des Films wird die Spannung durch zurückhaltende Inszenierung und Fokussierung auf die zugrunde liegenden Themen aufgebaut. Die Zuschauer werden dazu angeregt, ihre eigenen Schlüsse über die Wahrheit der Geschichte zu ziehen, wodurch der Film weit über das Genre des Gerichtsdramas hinausgeht. Mir hat dieser Ansatz sehr gefallen und das nuancierte Schauspiel von Hüller war die Kirsche auf der Torte. Immer wieder überrascht der Film mit Wendungen und kreiert Blickwinkel auf Situationen, die gerne mal die eigene Meinung ändern können. So ist beispielsweise die Hauptfigur, gespielt von Sandra Hüller, eine Autorin, deren persönliche Erfahrungen ihre literarische Arbeit beeinflussen und Erfolg brachten und plötzlich wird ihr genau das negativ ausgelegt als Parallelen zum Tod ihres Mannes gezogen werden können. Genauso wird es natürlich auf einmal schwierig Absprachen zwischen Ehepartnern – wie in diesem Fall seine Erlaubnis eine verworfene Idee seinerseits für ihr eigenes Buch zu nehmen – wenn nur noch ein Beteiligter lebt. Absolutes Highlight war für mich jedoch ein 15 minütiges Streitgespräch zwischen den Eheleuten, das unendlich gut geschrieben und dargestellt war.

Anatomie eines Falls ist ein sehr interessanter Film für die diesjährige Oscarverleihung. Da die Franzosen es vercheckt haben Anatomie eines Falls als ihren Beitrag für den Auslandsoscar einzureichen, geht The Zone of Interest in dieser Kategorie sehr wahrscheinlich mit dem Preis nach hause. Trotzdessen gelang es dem Film sogar in der wichtigsten Kategorie für den besten Film des Jahres nominiert zu werden – hier nun diesmal wirklich in Konkurrenz zu The Zone of Interest – beides Filme mit Sandra Hüller in der Hauptrolle, beide leider aber auch nur mit Außenseiterchancen gegen Oppenheimer. Auch Hüller selbst ist nominiert – doch könnte vielleicht durch ihre ebenfalls sehr gute Leistung in The Zone of Interest viele Voter unsicher machen. Sie hat neben Emma Stone für mich die beste Leistung des Jahres gebracht, wird aber kaum gewinnen können. Eine Nominierung für eine deutsche Schauspielerin ist nach vielen Jahrzehnten aber auch schon fast so geil wie ein Sieg. Gewinnen kann Anatomie eines Falls am ehesten im Rennen um das Beste Originaldrehbuch sowie den Besten Schnitt.

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