CODA | Kritik / Review (Oscars 2022)

Storyanriss:

Die siebzehnjährige Ruby (Emilia Jones) ist mit einer Stimme gesegnet, die ihre Eltern nicht hören können. Sie ist das einzige hörende Mitglied einer gehörlosen Familie – ein CODA, Child of Deaf Adults. Ihr Leben dreht sich darum, als
Dolmetscherin für ihre Eltern Jackie (Marlee Matlin) und Frank (Troy Kotsur) zu fungieren und jeden Tag vor der Schule mit ihrem Vater und ihrem älteren Bruder Leo (Daniel Durant) auf dem angeschlagenen Fischerboot der Familie zu arbeiten. Doch als Ruby dem Chorclub ihrer Highschool beitritt, entdeckt sie ihr Talent für den Gesang und fühlt sich zu ihrem Duettpartner Miles (Ferdia Walsh-Peelo) hingezogen. Von ihrem enthusiastischen Chorleiter Bernardo (Eugenio Derbez) ermutigt, sich an einer renommierten Musikschule zu bewerben, ist Ruby hin- und hergerissen zwischen den Verpflichtungen gegenüber ihrer Familie und dem Verfolgen ihrer eigenen Träume.

Fazit:

Was für ein fantastischer Film. Unter den diesjährigen Nominierten für die Kategorie „Bester Film“ gehört CODA definitiv zu denjenigen die mich am meisten emotional berührt haben.

Ja, es handelt sich hierbei quasi um ein 1 zu 1 Remake des französischen Films Verstehen Sie die Béliers? aus dem Jahr 2014. Die Geschichte spielt nun in Gloucester statt Frankreich und die Familie verdient mit der Fischerei statt selbstgemachtem Käse ihr Geld, aber zu 90% bekommt man sehr ähnliche Storybeats vorgesetzt. Typisch Amerikaner: lieber ein US-Remake drehen, statt einen internationalen Film zu synchronisieren.

Doch obwohl ich das natürlich ein wenig schade für das französische Original empfinde, mache ich das CODA nicht zum Vorwurf. Gut kopiert allein reicht nicht aus, ich erwarte auch immer ein Stückweit dass die Geschichte um etwas Eigenes, Besonderes erweitert wird. Ich finde CODA gelingt das vor allem durch eine sehr starke Ensemble-Performance. Vor allem Emilia Jones als Ruby und ihr Filmvater Frank, verkörpert vom Oscar-Nominierten Troy Kotsur, fand ich phänomenal gut. Beide hätten eine Nominierung für Ihre darstellerische Leistung verdient gehabt.

Der tolle Soundtrack und die guten Dialoge tun ihr übriges um den Zuschauer abzuholen. Regisseurin und Drehbuchschreiberin Sian Heder beweist auch immer wieder ein gutes Gespür für interessante Momente um die Welt der Gehörlosen als auch CODA zu beschreiben. Momente bei denen ich mich immer wieder erwischte und beispielsweise dachte: „Ach Gott, ja…, stimmt, DAS würde ein Problem für ein hörendes Kind in einer gehörlosen Familie sein“.

So zum Beispiel als Ruby in einer Szene ganz banal ihre Hausaufgaben erledigt und sich Ihre Familie im gleichen Zimmer befindet und jeder auf seine Art Lärm macht, aber natürlich die Einzige die es hört und in dem Moment darunter leidet eben Ruby ist. Auf der anderen Seite genießt Ruby als CODA aber auch den unerwarteten Vorteil, früh um 3 Uhr, wenn der Wecker klingelt, laut Musik anzumachen, da es niemand außer ihr hört oder gar stört.

Auch den Konflikt zwischen Rubys Flügge werden und Verwirklichen Ihrer eigenen Träume und gleichzeitig das Gefühl die Familie in Stich zu lassen, die abhängig von ihr ist, war gut ausgearbeitet. Mit zunehmender Spieldauer werden die Szenen auch emotionaler. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich zum Ende hin nicht Zwiebeln in meinem Zimmer geschnitten hätte. Also die Szene mit dem Pick-up am Ende – uff.., schluck.

Zwischen all diesen dramatischen Ereignissen weiß der Film eine süße coming-of-age Geschichte zu erzählen, die vor allem auch mit sehr viel Humor punkten kann. Ob nun Arztbesuch oder Duett-Proben zu Hause – um nur einige Stichworte zu geben – waren herausragend. CODA hat mich berührt und sehr gut unterhalten – mehr kann man sich von einem Remake, das auch noch das Original überflügelt, nicht wünschen.

The Power of the Dog | Kritik / Review (Oscars 2022)

Storyanriss:

Zwei Brüder, die gemeinsam eine große Ranch in Montana besitzen, versuchen auf ihre Weise das gemeinsame Land zu führen. Allerdings könnten Phil (Benedict Cumberbatch) und George (Jesse Plemons) unterschiedlicher nicht sein: Während Phil mit Strenge und Härte auf der Farm anpackt, will sich George der Kontrolle seines Bruders entziehen. Er legt mehr Wert auf teure Autos, gute Kleidung und ein Leben fernab von Rindern und Feldarbeit. Die Heirat mit der Witwe Rose (Kirsten Dunst) könnte sein Ausweg aus seinem bisherigen Leben sein. Zusammen mit ihr und ihrem Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) will er auf der Ranch einen neuen Lebensabschnitt markieren. Die Fronten zu seinem Bruder Phil scheinen sich durch die Anwesenheit von Rose jedoch nur zu verstärken.

Fazit:

Netflix zweiter Oscaranwärter in der Kategorie „Bester Film“ ist wohl der große Favorit dieses Jahr – und das kann ich bei bestem Willen nicht nachvollziehen.

Ich habe irgendwie das Gefühl, dass das etwas kontroverse Ende hier die Wahrnehmung über den gesamten Film überschattet. Denn zugegeben: das Ende macht den Film aus und bringt die Kontroverse. Jedoch kam es nicht nur so abrupt, dass ich es beim ersten Mal gar nicht direkt mitbekommen und verstanden hab und ich nochmal zurückspringen musste, um es ein weiteres Mal zu sehen, es setzt letztlich auch das Highlight in einem bis dahin einfach nur öden Film.

Jane Campion gelingt es zwar wunderbar die Ambivalenz der beiden Brüder einzufangen und deutlich zu machen, dass während der eine bereits Richtung Zukunft schaut, den technischen Fortschritt annimmt und sich von seinem Bruder loslöst, der andere noch den stereotypischen Cowboy verkörpert, der noch immer im klassischen „Western“ hängt und alles, wie beispielsweise die neue Ehefrau seines Bruders, verteufelt, das ihm dieses Cowboytum und seinen Bruder streitig macht.

Leider war The Power of the Dog eine Schlaftablette von Film, den ich niemals ehrlich Freunden empfehlen könnte. Das Pacing ist echt langsam für das was erzählt wird. Ich versteh auch nicht wie man auf die Idee kam, jede/n Schauspieler:in direkt für den Oscar zu nominieren.

Bis auf Benedict Cumberbatch, hätte es maximal noch Kodi Smit-McPhee verdient, aber warum Jesse Plemons und seine Ehefrau Kirsten Dunst ebenfalls nominiert wurden, ist mir ein Rätsel. Zudem es einfach auch sicherlich eine handvoll bessere Anwärter gab.

In den letzten Wochen war der Film vor allem Gesprächsthema, weil der schönste Schnurri Hollywoods, Sam Elliott, im Marc Maron Podcast nichts als Verachtung für den Film über hatte, da er Regisseurin & Drehbuchautorin Jane Campion keine Kompetenzen im Bereich Westen zusprach und zudem die homosexuellen Untertöne der Cowboys hasste. Daraufhin bezeichnete Campion das Verhalten Elliotts zu recht als bitchig. Diesen Streit hätte ich lieber verfilmt gesehen, bin ich ganz ehrlich.

Dennoch wird der Western The Power of the Dog auch ohne meine Zustimmung in vielen Kategorien als Favorit ins Rennen gehen. Dazu gehören unter anderem Bester Film, Bester Hauptdarsteller und Beste Regie. Bei 12 Nominierung wird The Power of the Dog sicherlich nicht leer ausgehen, einen Durchmarsch erwarte ich aber nicht.

Belfast | Kritik / Review (Oscars 2022)

Storyanriss:

Sommer, 1969 in Belfast: Der neunjährige Buddy (Jude Hill) ist Sohn einer typischen Arbeiterfamilie in der nordirischen Hauptstadt. Er liebt Kinobesuche, Matchbox-Autos und seine Großeltern Granny (Judi Dench) und Pop (Ciarán Hinds) – außerdem schwärmt er für eine seiner Mitschülerinnen. Als jedoch die gesellschaftspolitischen Spannungen in Belfast eskalieren und es daraufhin sogar in der friedlichen Nachbarschaft zu grausamen Gewalteruptionen kommt, endet die idyllische Kindheit von Buddy mit einem Schlag. Während seine Eltern Ma (Caitriona Balfe) und Pa (Jamie Dornan) versuchen, die Zukunft der Familie zu sichern, ist Buddy gezwungen, viel zu schnell erwachsen zu werden. Trotz allem versucht er, seine Lebensfreude und seine Begeisterung für Film und Fernsehen nicht zu verlieren

Fazit:

Kenneth Branagh ist eine interessante Person. Von Theater, über Schauspiel bis hin zur Regiearbeit scheint er alles zu beherrschen und mühelos zwischen den Rollen zu wechseln. Zugegeben mit schwankender Qualität. Thor, einer der ersten Marvel Superheldenfilme war solide, die beiden whodunnit Krimis Mord im Orientexpress und sein Nachfolger Tod auf dem Nil, wo sich Branagh auch direkt selbst in der Hauptrolle inszenierte, waren nur mittelmäßig und ein Artemis Fowl gilt als einer der größten Flops der jüngeren Filmgeschichte. Und nun scheint es Branagh mit dem kleinen, schwarzweiß gehaltenen Indi-Drama Belfast gelungen zu sein, sein vielleicht bestes Werk bisher zu inszenieren.

Mit Belfast verarbeitet er seine eigene Kindheit. Der Film ist eine Liebeserklärung an eine Stadt die in den 1960ern zum Mittelpunkt des Nordirlandkonfliktes zwischen Protestanten und Katholiken wurde. Und obwohl dieser bürgerkriegsartige Konflikt die Geschichte immer wieder als Rahmen zusammenhält, empfand ich Belfast trotz allem als vergleichsweise leichten Film.

Er spiegelt eben auch die Erinnerung eines jungen Kindes, Branagh selbst, wider, das trotz der Probleme eine gute Kindheit hatte und für den zu dieser Zeit mindestens genauso wichtig war ein erstes Mal verliebt zu sein oder seine Leidenschaft für Film und Fernsehen auszuleben.

Positiv in Erinnerung ist mir hier auch die musikalische Untermalung geblieben, die auch deutlich leichter und fröhlicher ist als es vielleicht üblich wäre für einen Film mit dieser Thematik. Auch der Cast rund um den jungen Darsteller Jude Hill hat mir gut gefallen, nur die Oscar-Nominierung für Judi Dench kann ich hier null nachvollziehen. Jude Hill hingehen war großartig.

Alles in allem war Belfast für mich deutlich unterhaltsamer als erwartet. Dennoch ist es für mich nicht der beste Film in der Königskategorie auch wenn die Gewinnchancen auf dem Papier durchaus groß sind.

West Side Story | Kritik / Review (Oscars 2022)

Storyanriss:

New York in den 1950er-Jahren. In den Straßen der erwachenden Metropole herrschen raue Sitten und Gangs bestimmen das Stadtbild in den jeweiligen Vierteln. Besonders die Rivalitäten zwischen Einheimischen und Puerto-Ricanern sorgen immer wieder für Streit und Kämpfe. Die Jets, die von Tony (Ansel Elgort) angeführt werden sowie die Sharks mit ihrem Anführer Bernardo (David Alvarez) geraten stets aneinander, um ihre Vorherrsschaft zu markieren. Als sich Tony jedoch in Maria (Rachel Zegler) verliebt, scheint der Kampf in eine neue Phase zu gehen: Maria ist Bernardos Schwester, der von der heimlichen Liason der beiden Liebenden alles andere als begeistert ist. Die Situation eskaliert und schon bald sind die ersten Opfer auf beiden Seiten zu beklagen. Ist die Liebe zweier Personen es wert, das Leben anderer aufs Spiel zu setzen?

Fazit:

Steven Spielberg, der Altmeister himself, erfüllt sich mit seinem Remake vom 1961er West Side Story einen großen Traum. Denn West Side Story gehört zu den Werken, die Spielberg am meisten in seinem Leben inspirierten.

Ich habe mich durchaus auf diesen Film gefreut, denn nicht nur kann ich Musicals was abgewinnen, sondern natürlich auch Spielbergs Schaffen. Mit 7 Nominierungen punktete West Side Story auch bei der Academy. Doch ich muss gestehen, dass mich der Film zu keinem Zeitpunkt richtig abholen konnte.

Dass liegt unter anderem daran, dass die Geschichte dann doch sehr simpel und dünn ist. Die Figuren bleiben oft eindimensional, haben quasi kaum Profil und dann gibt es da noch diese eine Szene im letzten Akt, die mich völlig kopfschüttelnd zurückließ.

Eine Szene, wo eine ganz Gang kurz davor ist eine trauernde Frau im Gruppengangbang zu vergewaltigen vor den Augen Ihrer Freundinnen, schien mir 5 Stufen zu überzogen, völlig unglaubwürdig und Quatsch. Merkwürdig, einfach drüber.

Abseits davon wirkte zum einen die Welt trotz guter Ausstattung etc., stilistisch schon sehr künstlich und zum anderen hat mich auch der musikalische Teil enttäuscht. Ich hatte das Gefühl eigentlich nur Geschreie zu hören, so dass ich weit mehr angenervt als unterhalten war von den Songs. Wenn man in einem Musical hofft, die Songs gingen schneller vorbei, dann ist das selten ein gutes Zeichen.

Inszenatorisch und technisch gab es wie zu erwarten wenig zu beanstanden. In diesen Kategorien sehe ich auch die größten Chancen für West Side Story.

Auch Ariana DeBose, die nicht nur einen gut gewählten Cast anführte, sondern auch bereits Bafta und Screen Actors Guild Preise abräumte, könnte durchaus den Oscar gewinnen in einer meiner Meinung nach recht schwach besetzten Kategorie.

Das Remake von West Side Story wird mit Sicherheit den ein oder anderen Preis mitnehmen bei den Oscars – aber der beste Film ist es für mich ganz klar nicht.

Don’t Look Up | Kritik / Review (Oscars 2022)

Storyanriss:

Die Menschheit ist in großer Gefahr! Ein riesiger Asteroid rast auf die Erde zu und wird die Bevölkerung restlos auslöschen. So lauten zumindest die Warnungen der beiden Astronomen Kate (Jennifer Lawrence) und Randall (Leonardo DiCaprio), die sich mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen an die Öffentlichkeit wagen und eine Katastrophe vermeiden wollen. Doch niemand interessiert sich für die Behauptungen der beiden Wissenschaftler, deren Belege und Thesen als unbestätigte Randnotiz verhallen. Um sich dennoch Gehör zu verschaffen, begeben sich Randall und Kate auf große Medientour. Selbst Präsidentin Orlean (Meryl Streep) steht auf der Liste der Wissenschaftler. Das ungewöhnliche Duo gibt sich redlich Mühe, die Erdbevölkerung auf das drohende Unheil aufmerksam zu machen. Aber sind ihre zahlreichen Berechnungen und Prognosen wirklich korrekt oder jagen sie einer Katastrophe hinterher, die sie selbst kreieren wollen?

Fazit:

Don’t Look up spaltet ebenso wie die Handlung im Film das Publikum vor dem Screen. Die mit Oscarpreisträgern gespickte Netflix-Produktion ist trotz ihrem fiktiven Weltuntergangs-Setup à la Armageddon, der gleichwohl aktuellste Film unter den Nominierten. Hätte man den Film vor 5 Jahren veröffentlicht, wäre er nicht nur weit weniger viel besprochen worden, sondern wäre dank fehlender Relevanz auch einfach nur belächelt worden.

Dass einem der Film trotz seiner Komik so im Halse stecken bleibt, liegt an dieser Dünnhäutigkeit, die ein jeder von uns mittlerweile nach einer unfassbar auslaugenden Trump-Regierung und weltweiten Pandemie, entwickelt hat. Wir mussten in den letzten Jahren zusehen, wie große Teile der Gesellschaft, teils auch im eigenen Freundeskreis oder der Familie, Wissenschaft und Fakten abschworen und lieber unsolidarisch ins offene Messer rannten, statt die Wahrheit zu akzeptieren und sich einzuschränken.

Adam McKays Don’t Look up spielt natürlich wenig subtil auf die Leugner und Trump-Regierung an. Es ist auch witzig mit anzusehen, wie die Charaktere vom Jennifer Lawrence und Leonardo Di Caprio im Staatsfernsehen davon erzählen, dass mit nahezu 100%iger Wahrscheinlichkeit die gesamte Menschheit ausgelöscht wird und sich die Bevölkerung stattdessen eher für das Aussehen der beiden Wissenschaftler interessiert.

Eine zentrale Rolle spielen auch die fantastischen Meryl Streep als weiblicher Trumpverschnitt und Präsidentin sowie ihren Sohn, gespielt von Jonah Hill. Als regelmäßige Sceenstealer führen die beiden Figuren mit Falschinformationen ihren Wahlkampf und prägen das titelgebende „Don’t Look up“ als Slogan ihrer Kampagne.  Klar, denn wir wissen alle seit dem Kindesalter: wenn man sich mit den Händen die Augen zuhält, ist man für seine Mitmenschen unsichtbar.  Eine Szene der beiden ist mir besonders in Erinnerung geblieben und zwar als sie tatsächlich Leo und Jennifer empfangen und ihre Ende-der-Welt-Szenario damit relativieren, dass dieses weltenzerstörende Ereignis ja nur zu mehr als 99% eintritt und damit ja längst nicht zu 100% wahrscheinlich wäre.

Die Inszenierung, die Dialoge und natürlich der Cast konnten definitiv überzeugen auch wenn der Film für viele letztlich nicht ganz das war was sie sich vorher erhofften.

Es ist für mich auch nicht der beste McKay Film geworden, aber alles im allem ein guter Einstieg in die Oscar-Saison, wo ich Don’t Look up nur wenig Chancen in den 4 Kategorien einräume.

Nomadland | Kritik / Review (Oscars 2021)

Storyanriss:

Fern (Frances McDormand) hat vor einiger Zeit ihren Mann verloren, aber dennoch ist sie in dem gemeinsamen Haus in Empire, Nevada wohnen geblieben. Nun allerdings hat die United States Gypsum Corporation, ein Baustoffhersteller und der einzige große Arbeitgeber der Kleinstadt, dichtgemacht und es gibt keine Jobs mehr. Nicht einmal eine Postleitzahl hat Empire mehr, weswegen Fern in ihrem kleinen Transporter lebt, durch die Vereinigten Staaten fährt und sich von Job zu Job treiben lässt. Sie besteht allerdings darauf, dass sie nicht obdachlos, sondern einfach nur hauslos ist. Fern könnte aufgrund ihrer Qualifikationen jederzeit wieder ein normales Leben führen, doch sie bevorzugt das Leben auf der Straße mit seiner Freiheit, den anderen Menschen und den vielen Bekanntschaften, die man irgendwann wieder trifft. So arbeitet sie etwa in einem Versandlager, bei der Ernte oder in einer Wohnwagensiedlung.

Fazit:

Regisseurin Chloe Zhao hat bereits mit ihrem letzten Film The Rider das Arthousekino begeistert und als Belohnung mit „Eternals“ direkt das krasse Gegenstück dazu übernehmen dürfen – einen gigantischen Marvel-Film. Doch trotz dieser Verantwortung schafft es Zhao scheinend spielend leicht noch kurz einen weiteren Festivalliebling dazwischen zu schieben. Mit Nomadland gewann die Filmemacherin bereits den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig und gehört allein dadurch schon zu den Favoriten.

Nomadland ist ein ruhiges, unaufgeregtes Portrait einer Parallelgesellschaft, die so beispielsweise in den USA existiert, aber vermutlich die wenigsten kennen: den Arbeitsnomaden, die in ihren Autos leben und von Ort zu Ort und Aushilfsjob zu Aushilfsjob ziehen. Was vielleicht auf den ersten Blick nicht sonderlich spannend wirkt, stellte sich letztendlich aber als sehr unterhaltsam für mich raus. Das lag zum einen daran, dass bis auf Oscargewinnerin Frances McDormand (Three Billboards Outside Ebbing Missouri) kaum echte Schauspieler dabei waren, sondern viele echte Nomaden, die ihre Geschichten teilten und sehr authentisch wirkten. Zum anderen fand ich es auch ungemein erfrischend und schön, dass diese Parallelgesellschaft, die oftmals durch schwere Schicksalsschläge diesen speziellen Lifestyle wählte, so inklusiv, uneitel, und hilfsbereit ist.

Es gibt sogar Bootcamps für Einsteigernomaden, die beigebracht bekommen wie Sie auf der Straße alleine klarkommen, angefangen von einem geplatzten Reifen bis hin zur richtigen Größe des Scheißeimers. Jeder hilft jedem in dieser Gesellschaft. „Man sieht sich immer zweimal im Leben“ scheint gerade unter den Arbeitsnomaden Realität zu sein und so bekommt man along the road fast immer die Möglichkeit sich für die einst entgegengebrachte Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe zu revanchieren.

Diese Geschichte fängt Nomadland mit poetischen, bildgewaltigen Aufnahmen ein – begleitet von einem stimmungsvollen Score durch Ludovico Einaudi. Mir hat Nomadland sehr gut und sogar ein Stück weit besser gefallen als The Rider.

Nomadland gehört dieses Jahr denke ich zu den Filmen, die immer ein Wörtchen mitzureden haben bei der Verleihung der Oscars. Egal ob es beispielsweise die Regie und das Drehbuch von Chloe Zhao sind oder die authentische, uneitle Performance von Frances McDormand – zum Favoritenkreis zähle ich sie allesamt. Nomadland hat auch das größte Momentum um morgen zum Besten Film gekürt zu werden.

The Father | Kritik / Review (Oscars 2021)

Storyanriss:

Der unabhängige Anthony (Anthony Hopkins) lehnt auch im Alter und zunehmend von Demenz geplagt jegliche Hilfe von seiner Tochter Anne (Olivia Colman) ab. Diese Hilfe wird aber unabdingbar, als Anne beschließt, mit ihrem Mann Paul (Rufus Sewell) nach Paris zu ziehen, und Anthony somit allein in der Wohnung zurückbleiben müsste, in der Anne und Paul mit ihm leben. Dass das nicht funktionieren wird, wird schon daran deutlich, dass Anthony immer wieder sehr durcheinanderkommt. Die Pflegerin Laura (Imogen Poots) soll Anthony helfen, doch auch wenn er sich anfangs charmant gibt: Er hat bereits zuvor andere Pflegerinnen mit seinen Stimmungsschwankungen vergrault.

Fazit:

Ich hätte nie gedacht, dass bei einem Film mit dieser Thematik einmal zu sagen, aber: was für ein Mindfuck. Das was der französische Regisseur Florian Zeller in seinem Regiedebüt und aus seinem bereits erfolgreichen Theaterstück The Father hier auf die Leinwand zaubert, ist ein Mindfuck. Er verlangt mit seiner besonderen Inszenierung dem Zuschauer einiges ab, aber hebt damit The Father auch von anderen Filmen, die das Thema Demenz behandeln wie Still Alice, ab.

Ähnlich wie es Sound of Metal mit der Wahrnehmung der Geräusche machte und dich als Zuschauer teilnehmen lassen hat, wie jemand der sein Gehör zu verlieren scheint seine Umgebung wahrnimmt, so geht Florian Zeller das Thema Demenz an. Der Film wird quasi aus der Perspektive von Anthony Hopkins erzählt, dessen Alltag immer mehr von seiner Demenz geprägt wird und zwischen klaren Momenten auch stetig wachsende Verwirrung erlebt sowie Zeitlinien, Namen, Ereignisse und Personen durcheinanderbringt. Während für ihn alles logisch erscheint und die Probleme bei seinen Mitmenschen liegen müssen, bekommen wir als Zuschauer am eigenen Leib zu spüren, wie in etwa es sein muss für einen Demenzkranken und kommen selbst durcheinander.

Glücklicherweise hatte ich privat noch mit keiner Person zu tun, die an Demenz litt, aber dennoch hat mich dieses Thema und dieser Film mitunter sehr berührt und das Leid für alle Beteiligten aufgezeigt. Ich denke, wenn man im eigenen Leben mit einer dementen Person zu tun hatte, wird The Father besonders betroffen machen. Diese klaren Momente auf der einen Seite, wo Anthony aufzeigt wie charmant er sein kann und dann auf der anderen Seite die krassen Gemütsschwankungen, die ihn zum absolut unausstehlichen Arschloch machen, das keine Gefangenen macht.

Diese Ambivalenz, diese Verletzlichkeit, all diese Nuancen in der Performance meistert Anthony Hopkins überragend. Mit Olivia Colman bekommt Hopkins nicht nur eine Schauspielerin an die Seite, die selbst vor zwei Jahren einen Oscar (The Favourite) gewann, sondern auch ebenbürtig aufspielt und Hopkins mit seinen 83 Jahren wirklich alles abverlangt. Allein die letzten Szenen des Films sind einfach so wahnsinnig gut und so vielseitig, wenn man dann noch die vorangegangenen 80 Minuten betrachtet, bleibt mir nichts anderes übrig als die Daumen für Hopkins zu drücken bei der Preisverleihung – auch wenn er nicht der Favorit ist.

Soll er nach 30 Jahren (Das Schweigen der Lämmer) und zahlreichen – zuletzt für The Two Popes im letzten Jahr – Nominierungen doch bitte nochmal mit dem Oscar ausgezeichnet werden. Florian Zellers The Father ist ein aufwühlendes Kammerspiel mit herausragenden schauspielerischen Leistungen und einer famosen Inszenierung. Für 6 Oscars nominiert, denke ich vor allem, dass Hopkins große Chancen haben wird in der Nacht zum Montag.

Promising Young Woman | Kritik / Review (Oscars 2021)

Storyanriss:

Das Leben von Cassie (Carey Mulligan) ist auf den ersten Blick ein Scherbenhaufen: Mit 30 Jahren lebt sie immer noch bei ihren Eltern Stanley (Clancy Brown) und Susan (Jennifer Coolidge) und langweilt sich bei ihrer Arbeit in einem Coffee Shop. Doch nachts führt sie ein geheimes Doppelleben und verfolgt ihren Racheplan..

Fazit:

Fantastischer Film. Schwarzhumoriger Thriller, Rachefilm und clevere Gesellschaftskritik in einem. Das Filmdebüt von Emerald Fennell, die sich für die zweite Staffel „Killing Eve“ verantwortlich zeigt, hat ein wunderbares Drehbuch. Diese wirklich guten Dialoge sind mir hier besonders aufgefallen und haben einfach Spaß gemacht.

Ohne zu viel verraten zu wollen, ist es besonders spannend, dass sich Fennell für die Revenge-Geschichte nicht einfach nur auf die offensichtlichen Schweine unter den Männern fokussiert, sondern vor allem auf die sogenannten „Nice Guys“ schießt. Eben jene Nice Guys, die sich selbst nie als das Problem sehen und als Feministen verstehen, aber letztlich ebenfalls schamlos Frauen objektifizieren und sexuell belästigen. Grandios ist an dieser Stelle auch das Casting. Fennell hat hier eine Besetzung von Hollywoods Nice Guys zusammengestellt, die wenn man sie aus ihren früheren Filmen / Serien kennt, wie die Faust aufs Auge für diese Rollen passt.

Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf die Geschichte eingehen oder im Detail erläutern, warum dieser Revengeflick so anders ist im Vergleich zu anderen Genrevertretern, aber ein Anschauen lohnt sich. Großen Anteil hat auch Hauptdarstellerin Carey Mulligan, die eine wunderbare Performance ablieferte und mir nochmal zeigte warum sie zu den besten Schauspielerinnen unserer Zeit gehört. Promising Young Woman legt den Finger in die Wunde und teilt mit einigen Szenen so heftige Schläge in die Magengrube aus, das sie echt unangenehm zu schauen sind und man(n) das ein oder andere Mal nicht weiß, was man machen soll.

Klar Empfehlung für Promising Young Woman, der für 5 Oscars nominiert ist – unter anderem für die Beste Hauptdarstellerin sowie das Beste Drehbuch.

Judas and the Black Messiah | Kritik / Review (Oscars 2021)

Storyanriss:

In den späten 1960er Jahren wird der 17-jährige Kleinkriminelle William O’Neal (LaKeith Stanfield) in Chicago verhaftet, nachdem er versucht hat, ein Auto zu stehlen, während er sich als Bundesbeamter ausgab. Er wird von FBI-Spezialagent Roy Mitchell (Jesse Plemons) angesprochen, der anbietet, O’Neals Anklage fallen zu lassen, wenn er undercover für das FBI arbeitet. O’Neal wird beauftragt, die Illinois-Sektion der Black Panther Party und ihren Anführer Fred Hampton (Daniel Kaluuya) zu infiltrieren. O’Neal beginnt, sich Hampton anzunähern, der daran arbeitet, Allianzen mit rivalisierenden Gangs und Milizgruppen zu bilden, während er die Gemeinde durch das „Free Breakfast for Children“-Programm der Black Panther unterstützt. Als der Parteivorsitzende Fred Hampton aufsteigt, entbrennt ein Kampf um O’Neals Seele.

Fazit:

Ähnlich wie The Trial of the Chicago 7 trifft Judas and the Black Messiah einen Nerv mit seiner Nacherzählung wahrer Ereignisse. Diese sind zwar zu jeder Zeit wichtig und interessant, aber gerade jetzt vor dem Hintergrund von Black Lives Matter, George Floyd und dem Thema Polizeigewalt, irgendwo noch einmal besonders relevant, obwohl die Ereignisse mehr als 50 Jahre her sind. Zu sehen wie die amerikanische Justiz und Politik systematisch und mit aller Macht versucht haben, die schwarze Community zu unterdrücken und „schwach“ zu halten, tut einfach weh.

Die letzten 10 Minuten des Films sind unfassbar hart, machen betroffen und vor allem wütend. Diese Eindrücke hallen auch Tage später noch nach. Judas and the Black Messiah kann darüber hinaus auch mit starken Darstellern punkten, so dass ich die Nominierungen für Daniel Kaluuya und LaKeith Stanfield definitiv gut heiße – auch wenn es ein wenig merkwürdig ist, dass sich beide in der Nebendarsteller-Kategorie wiederfinden und womöglich gegenseitig die Stimmen stehlen werden.

Klare Empfehlung für Judas and the Black Messiah, dem ich im Rennen um 6 Oscars vor allem Chancen für den besten Song ausrechne.

Mank | Kritik / Review (Oscars 2021)

Storyanriss:

1940 verkriecht sich Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) auf einer abgelegenen Ranch in der Mojave Wüste. Der nach einem Unfall auf Krücken angewiesene, schwer alkoholkranke Autor soll dort für das Regie-Debüt des neuen Hollywood-Wunderkinds Orson Welles (Tom Burke) in nur 60 Tagen das Skript schreiben – unterstützt von der britischen Schreibkraft Rita (Lily Collins) und der deutschen Krankenschwester Freda (Monika Gossmann). In dem Film geht es um einen reichen Zeitungsmagnaten, einen Menschen wie William Randolph Hearst (Charles Dance), den Mankiewicz 1930 kennenlernte, mit dem er sich anfreundete und schließlich nach turbulenten Jahren entzweite. So wird „Citizen Kane“ zur ganz persönlichen Abrechnung mit Hearst …aber auch mit einem anti-liberalen Hollywood.

Fazit:

Man kann sicherlich von Netflix Investitionspolitik halten was man will und auch viel schimpfen, aber das schier unendliche Geld des Streaming-Giganten bietet vielen Kreativschaffenden der Filmbranche einfach die Möglichkeit sich auszutoben und Projekte zu realisieren, die sonst niemals das Licht der Welt erblickt hätten, weil sie zu riskant für die Studiobosse sind. So ein Stoff ist auch Mank.

Das Drehbuch über die turbulente Entstehungsgeschichte des laut vielen vielleicht besten Films der Geschichte „Citizen Kane“ stammt von dem bereits verstorbenen Jack Fincher – Vater der Regielegende David Fincher (Fight Club, The Social Network, Sieben). Dieses Drehbuch entstand zum Großteil bereits so vor mehr als 20 Jahren, doch ein Schwarz-Weiß-Film über einen Drehbuchautoren der 30er Jahre klingt nun mal nicht nach einem Kassenschlager und verschwand für knapp 2 Jahrzehnte in der Schublade, bis David Fincher von Netflix einen Freifahrtschein für sein nächstes Projekt bekam. Mit Mank ehrt er nicht nur Citizen Kane, den Lieblingsfilm seines Vaters, sondern auch seinen Vater Jack posthum.

Es ist definitiv kein Film für jeden Kinobesucher, Mank richtet sich ganz klar an das cinephile Publikum, das gerne in die Klassiker und das alte Hollywood eintaucht. Dabei nimmt Fincher nicht immer Rücksicht auf Verluste und ballert seine Zuschauer mit allerhand Referenzen sowohl an Citizen Kane als auch an die Ursprünge Hollywoods und der Filmindustrie zu. Dabei inszeniert er seinen Film schwarz-weiß und in vielen anderen Aspekten wie es bei Citizen Kane damals selbst war. Auf allen handwerklichen Ebenen von Ausstattung, über Soundtrack bis hin zu Kamera und Kostümdesign, brilliert Mank wenig überraschend auf ganzer Linie.

Dass man dazu dann noch eine Hammerbesetzung hat, die durch Oscar-Gewinner Gary Oldman in der titelgebenden Hauptrolle sowie der sehr starken Amanda Seyfried angeführt wird, rundet Mank perfekt ab. Mank ist sicherlich der offensichtlichste Hollywood/Oscarfilm dieses Jahr, bei dem einfach alles nach Oscars aussieht, aber der Topfavorit ist mit seinen 10 Nominierung auch zurecht das heiße Eisen im Kampf um die Goldjungen.